„Je sozialer die Aufgabe, desto weniger schnell wird sie von Künstlicher Intelligenz ersetzt“

KI auf dem Vormarsch: Sind Maschinen die besseren Entscheider? Und welche Arbeitsplätze bleiben für die Menschen?

Text: Anna Zacharias
Foto: Istock

Künstliche Intelligenz ist längst Bestandteil unseres alltäglichen Lebens. Wie wird sich das langfristig auf unsere Arbeitswelt auswirken? Wir haben darüber mit Markus Langer gesprochen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität des Saarlandes sowie Gründungsmitglied von „Algoright, der Verein für gute Digitalisierung“.

Künstliche Intelligenz nimmt uns die Arbeitsplätze weg – stimmt diese Befürchtung?

Markus Langer: In manchen Bereichen ist diese Angst nicht ganz unberechtigt. In der Lagerarbeit ist bereits vieles automatisiert worden und KI verändert ohne Frage die gesamte Arbeitswelt. Dabei ist klar, dass auch Jobs wegfallen werden. Und auch wenn es trotzdem immer noch Menschen brauchen wird, die beispielsweise Überwachungstätigkeiten übernehmen, bleibt die Frage: Will ich diesen, durch den Einsatz von KI veränderten Job machen? Stört es mich beispielsweise, nicht mehr Bestandteil des eigentlichen Arbeitsprozesses zu sein? Oder wird mir langweilig, wenn ich 20 Maschinen als Kollegen habe? Da gilt es, die Prozesse menschengerecht und sozial verträglich zu gestalten.

Aber es gibt auch die positiven Seiten…

Natürlich, zum Beispiel ist ja bereits durch Automatisierungsprozesse am Fließband körperliche Arbeit erleichtert worden. Und neue Technologien schaffen ja auch ganz neue Jobs. Wenn KI-basierte Systeme innerhalb von Unternehmen eingesetzt werden sollen, kann es sein, dass es Übersetzer KI-basierter Outputs und Prozesse gibt, die die Ergebnisse interpretieren. Wenn zum Beispiel eine Maschine zum vierten Mal in Folge denselben Mitarbeiter des Monats ausgewählt hat, stellt sich die Frage, ob das so richtig ist und was die Gründe dafür sein könnten. Für die Überprüfung und Interpretation KI-basierter Systeme werden Mitarbeiter mit besonderer Expertise benötigt.

Sind Maschinen die besseren Personaler? Man erhofft sich dabei ja totale Objektivität, stattdessen hört man von Algorithmen, die sogar sexistische oder rassistische Kategorien beim Sortieren von Bewerbungen angewandt haben.

Algorithmen an sich können nicht sexistisch oder rassistisch sein. Die Datenauswahl als Grundlage für die Algorithmen hingegen kann natürlich Vorurteile beinhalten, wenn man bei der Entwicklung der Algorithmen nicht aufpasst. Wenn ich der Maschine 50 gute und 50 schlechte Lebensläufe als Orientierung zeige kann es passieren, dass unter den erfolgreichen in der Vergangenheit mehr Frauen oder Männer waren und die Maschine das Geschlecht als Erfolgskriterium wertet. Man kann dem System dann sagen, dass gewisse Aspekte ignoriert werden sollen, aber das ist nicht einfach: Ein selbstlernendes System kann aus vielen Informationen ablesen, dass es sich beispielsweise um eine Frau handelt –  möglicherweise auch aus Informationen, die uns als Menschen erst einmal gar nicht so bewusst sind.

Gibt es tatsächlich schon Firmen, die so ihre Personalentscheidungen treffen?

Ja, das gibt es bereits – bei großen Firmen wie Walmart beispielsweise, die erst mal aus einer Vielzahl an Bewerbungen eine Vorauswahl treffen müssen. Allerdings gewähren die Unternehmen nur ungern Einblick in die Ausmaße dieser Verfahren. Das Ganze hat den positiven Effekt, dass auf diese Weise vielleicht einige Bewerbungsmappen wahrgenommen werden, die sich früher einfach niemand angesehen hätte. Mir ist allerdings auch keine Firma bekannt, die zugibt, sich die endgültige Entscheidung für die Einstellung von Bewerberinnen und Bewerbern von KI-basierten Systemen abnehmen zu lassen.

„Wenn eine Maschine zum vierten Mal in Folge denselben Mitarbeiter des Monats ausgewählt hat, stellt sich die Frage, ob das so richtig ist.“

Markus Langer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität des Saarlandes

Träumen Sie von einer Welt, in der sich die Menschen umsorgt von Maschinen zurücklehnen und sich endlich nur noch den wichtigen philosophischen Fragen des Lebens widmen können?

Tja, das klingt möglicherweise wie eine schöne Utopie, aber Menschen ziehen eben viel Selbstwert aus ihrer Arbeit. Und damit meine ich auch die einfachen Arbeiten, auch wenn es die acht Stunden am Band sind. Ideal wären die kleinen Erleichterungen in Arbeitsprozessen, eben eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.

Wie lange wird es dauern, bis KI unsere Arbeitswelt völlig umgekrempelt hat?

Die Entwicklung ist sehr schwer abzuschätzen, es wird zurzeit viel probiert, aber der Einsatz von KI ist noch überschaubar. Bei einfacheren Gebieten kann es aber schnell gehen. Auch Pflege-Roboter stehen in den Startlöchern, die einfache Aufgaben übernehmen wie Essen oder Getränke bringen. Aber dort, wo es um die Interaktion mit Patienten geht und bei wichtigen Entscheidungsprozessen wird es noch dauern. Je sozialer die Aufgabe ist, desto weniger schnell kommt vermutlich der erfolgreiche Einsatz KI-basierter Systeme.

Könnte im Einzelhandel bald das Kassenpersonal überflüssig werden?

In dem Bereich geht die Entwicklung schnell, die Selbstbedienungskassen sind überraschenderweise zwar in Deutschland noch nicht sehr verbreitet, im Ausland dagegen schon. Wenn da demnächst Lidl oder Aldi vorpreschen, werden die anderen schnell folgen. Was das mit den Arbeitsplätzen im Einzelhandel machen wird, bleibt abzuwarten. Während manche Kundinnen und Kunden sicherlich den Kontakt zu Verkäuferinnen und Verkäufern genießen, gibt es auch Studien, in denen das Personal in Läden, in denen automatische Kassen schon Standard sind, berichten, dass Menschen beim Einkaufen gar nicht unbedingt Kontakt zu anderen Menschen haben wollen und somit automatische Kassen oft bevorzugt werden.

Deutschland hinkt der internationalen Entwicklung hinterher, können wir das überhaupt noch aufholen?

In den letzten zwei Jahren wurde der Weg deutlich geebnet, es gibt unfassbar viele Förderungen und Forschungen, die Politik pusht das Thema sehr stark. Wie liegen aber noch weit hinter China und den USA zurück – das liegt unter anderem daran, dass Europa eben menschzentrierte KI fördern will, KI, die auch datenschutzkonform ist. Aber ich bin optimistisch: Wenn wir in Europa hohe moralische Standards an die Entwicklung von KI-basierten Systeme legen, kann das, was dabei entsteht, auch ein Alleinstellungsmerkmal und damit Verkaufsargument im internationalen Wettbewerb sein.

Wenn ich jetzt als junger Mensch vor der Berufswahl stehe, welchen Job können Sie mir noch empfehlen?

Die Pflegekraft wird mit Sicherheit ein menschlicher Job bleiben, der aber hoffentlich körperlich leichter wird. Auch Berufe wie der des Psychotherapeuten werden bleiben – und mit Sicherheit ist auch die Informatik ein zukunftsträchtiger Weg. Zusätzlich muss dafür gesorgt werden, dass es genügend Weiterbildungsmöglichkeiten für die Menschen gibt, sich an den Arbeitsmarkt anzupassen. Insgesamt sind übertriebene Angst oder aber auch übertriebene Hoffnung weit verbreitet, aber beides nicht unbedingt angebracht. Eine aktive Beteiligung an der Gestaltung ist wichtiger, als sich in großen Hoffnungen oder Ängsten zu verlieren.

Hätten Sie das Interview auch einem Roboter gegeben?

Ehrlich gesagt – wahrscheinlich schon.